Kinder Kurzgeschichten Weihnachten

Die Hoffnung – die uns trägt –

Von da an war alles anders

Die Weihnachtsgeschichte erzählt von der Hoffnung die uns trägt, und von der Liebe die uns auffängt.

Das Leben ist schön. Das Leben war schön bis zu jenem Tag, an dem Lukas vom Fußballtraining nach Hause kam, der Vater ihn weinend in die Arme nahm und stammelte: „Die Mama ist tot“.

Lukas verstand nichts, die Worte rauschten an seinem Ohr vorbei und lösten sich auf, wurden zu Staub und verwehten.

Dieser Tag und die Tage danach liegen für den zehnjährigen Lukas eingemauert hinter einer Nebelwand. Von da an war alles anders.

Inzwischen ist ein halbes Jahr vergangen. Lukas geht wie gewohnt zur Schule und zum Fußballtraining. Papa Georg hat den Job gewechselt, damit er von zu Hause aus arbeiten kann. „Wir schaffen das“, versichert Papa oftmals und streicht seinem Sohn liebevoll über den Kopf und Lukas nickt stumm, auch wenn beide nicht so recht daran glauben.

„Papa, ich habe Angst vor Weihnachten“, gesteht Lukas beim Frühstück mit dem Blick zum Kalender an der Wand neben dem Küchenschrank. Auch der Vater denkt mit bangem Herzen an Weihnachten. In fünf Tagen ist Heiligabend, und in zwei Tagen beginnen die Weihnachtsferien. Und beide wissen, Großeltern, Onkeln und Tanten und die Verwanden buhlen in guter Absicht um Vater und Sohn um sie an Weihnachten mit ihrer Liebe zu ersticken. Doch die Vorstellung mit Papa allein an Weihnachten unterm Tannenbaum zu sitzen, gegen Tränen anzukämpfen und so zu tun als sei alles in bester Ordnung, ist genau so unerträglich wie Weihnachten mit den Großeltern und im Wechsle mit gegenseitigen Besuchen bei Verwanden, oder gegen Urlaub in – wo auch immer –  einzutauschen.

Es ist der vorletzte Schultag. Lukas kommt erst zur zweiten Stunde zum Unterricht. Auf die Frage des Lehrers nach einer Entschuldigung zuckt er lediglich mit den Schultern und nimmt wortlos Platz. Was hätte er auch sagen sollen? Soll er vor der Klasse erklären, dass ihn das Heimweh nach der Mutter zwanghaft zum Friedhof geführt und er mit der Mutter im Zwiegespräch versunken auf die Schule und all das Gelaber um Weihnachten keine Lust hat?

Für den Vater ist schon heute Arbeitsschluss. Er räumt das Arbeitszimmer auf, erledigt noch einige Telefonate, surfte gedankenlos durchs Internett immer auf der Suche nach einer Lösung für sein Kind die Feiertage heil zu überstehen.

In den Nachrichten bringen sie ein Intervive mit einem auf dem Trocknen sitzenden Rheinschiffer, dem durch das seit Wochen anhaltende Niedrigwasser bereits hohe Verluste entstanden sind und er zwei Angestellten kündigen musste. Er kann seine Mitarbeiter nicht mehr bezahlen.

Auch die Rheinfähren haben den Betrieb eingestellt, und die Wettervorhersage ist niederschmetternd, denn es ist kein nennenswerter Regen in Sicht.

Einige Frachtschiffe, so erzählt der Kapitän haben Kabinen hergerichtet die sie an Passagiere vermieten, um den Leerfahrten wenigstens einen Sinn zu geben.

Mit dem Gefühl auf der Stelle zu treten verbringt Papa Georg den restlichen Tag, und doch ist ihm, als hafte irgendetwas in seinen Gedanken und will heraus, will entdeckt werden. Nur was ist es?

Die Abendnachrichten wiederholen größtenteils die Themen von den Zwölf-Uhr-Nachrichten. Auch hier ist Schwerpunkt der Wassernotstand mit dem Intervive des Kapitäns.

Ohne eine klare Vorstellung zu haben wählt der Vater sich über das Internet bei dem Sender ein und erkundigt sich nach einer Kontaktadresse zu dem Gespräch mit dem Kapitän aus den heutigen Nachrichten. Dann schreibt er sich allen Kummer von der Seele, von der Angst seines Kindes vor Heiligabend und den Weihnachtsfeiertragen. Die Worte fließen in die Finger und diese bewegen die Tastatur, so wie das Wasser dahinfliest ohne müde zu werden.

Am nächsten Morgen vermeldet Papas Handy bereits um 6 Uhr in der Früh „Sie haben eine neue Mail.“ Die Mail kommt von einer Reederei und bezieht sich auf das Schreiben von gestern Abend. Sie enthält Kontaktadressen mit Mobilnummern zu zwei Schiffen die in Frage kommen könnten. Eine Mobilnummer gehört zu einem Tankschiff welches am 23. Dezember in Stuttgart anlegt, und eine Mobilnummer bezieht sich auf ein Containerschiff, das am 24. Dezember um 10 Uhr 30 in Mainz mit dem Ziel Rotterdam ablegt.

Plötzlich ist die Welt viel bunter und das Grau der letzten Tage beginnt zu leuchten. Dem Vater plumpsen eine Menge Wackersteine von der Seele und während er den Frühstückstisch eindeckt summte er „Stille Nacht, heilige Nacht, alles schläft – einsam wacht Vater und Sohn an Bord bei Nacht.“

Verschlafen und verwundert schaut Lukas drein als er seinen Papa völlig verändert in der Küche antrifft. „Lukas, ich muss Dir etwas sagen. Ich war gestern bei Mama und habe lange mit ihr gesprochen. Ich glaube sie hat uns einen Weihnachtsengel geschickt.“

„Ich war auch gestern auch bei Mama und habe die erste Schulstunde geschwänzt“, gestand Lukas.

Und dann erzählt der Vater dem Sohn von der Idee Weihnachten auf einem Versorgungsschiff zu verbringen mit allem was dazugehört, wie mitarbeiten, Wache schieben, Deck scheuern und vieles mehr.

Sie entscheiden sich für das Containerschiff und werden an Heiligabend um 10 Uhr 30 in Mainz an Bord gehen. Und dafür gibt es noch viel zu tun. Der Kapitän hat eine lange Liste gemailt was die Kleidung betrifft und um Besorgung von einigen Lebensmitteln gebeten.

Schrittweise kommt das Leben zurück. Die Weihnachtsmusik nervt nicht mehr. Der Christbaum auf dem Weihnachtsmarkt erstrahlt im hellen Licht und die Hektik in der Einkaufsmeile steckt Vater und Sohn an.

Mit klopfendem Herzen betritt Lukas das Schiff. An Bord begrüßen ihn: der Kapitän, seine Frau Lea, Tochter Meike, sie kommt aus der Internatsschule und ist mindestens 13 Jahre alt und der Matrose Pit. Pit bringt mit Papa die Einkäufe an Bord und ehe sich Lukas versieht, vibriert es unter seinen Füßen, das Schiff setzt sich in Bewegung. Lukas geht zur Reling, sieht wie der Bug das Wasser, das ihr Schiff wiegt und vorwärts trägt teilt und den Wellen Schaumkronen aufsetzt.

Wie in Zeitlupe zieht die Landschaft an ihnen vorüber Es ist schön, es ist wunderschön hier an Bord zu sein. Es ist, als zögen Engel das Schiff an einer unsichtbaren Leine und ihr Gesang vermischt sich mit dem Glockenläuten festlich geschmückter Kirchen der Orte links und rechts des Rheins.

Der Kapitän holt den Jungen auf die Brücke, weiß zu jeder Burg eine kleine Geschichte zu erzählen, erklärt ihm die Navigation, spricht von den Untiefen des Flusses und wie wichtig es ist noch im Hellen die Loreley zu passieren. Sie werden einen Lotsen an Bord nehmen der sie durch die gefährliche Enge und über den felsigen Untergrund manövrieren wird.

Am Abend sitzen alle außer dem Kapitän bei Tisch. Papa hat sich als Koch betätigt und ein weihnachtliches Allerlei gezaubert. Zwischendurch löst Pit den Kapitän auf der Brücke ab, damit auch er ein wenig Weihnachten leben kann. Seine Aufgabe ist es die Weihnachtsgeschichte vorzulesen und dem Abend den feierlichen Rahmen zu geben.

Viel später, es war um Mitternacht als Lukas zu seinem Papa ins Bett kriecht. Etwas schien ihm auf der Seele zu brennen.

„Ob Mama uns zusieht?“ „Ja, Mama ist bei uns, auch hier auf dem Schiff. Und sie ist glücklich, weil Du glücklich bist.“

„Und Du Papa, bist Du glücklich?“ „Ja, ich bin sehr glücklich, dass ich Dich habe, und ich bin glücklich, wenn Du es auch bist.“

„Papa, bist Du sicher, dass Mama nicht traurig ist, weil wir glücklich sind?“

„Ganz sicher!“

„Papa heute ist mein schönstes Weihnachtsfest.“

Und dann war Lukas eingeschlafen.

 

Doris Lauck

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