Die Dame mit dem roten Haar
Ich sehe sie jeden Morgen, und immer zur selben
Stunde, die Dame mit dem roten Haar.
Die gleiche Zeit, der gleiche Ablauf:
sie öffnet das Fenster, wischt die Fensterbank ab,
breitet ein gestreiftes Tuch darüber und bettet
Zudecke und Kissen darauf um die Morgensonne
einzufangen.
Die Distanz ist zu groß, und so kann ich ihr
Gesicht nicht erkennen. Ich denke mir, sie
hat eine freundliche Mimik, ein ansprechendes
Aussehen, und ihre Aura reicht bis zu mir
herüber.
Und ich frage mich, ob sie von mir Notiz
nimmt? Registriert sie meine Anwesenheit,
meinen rollenden Ausflug auf die Terrasse?
Bekommt sie meine umständlichen und
verzögerten Bewegungen mit, mein Tasten
nach der Bremse, mein Einparken am Tisch?
Nimmt sie meine Erschöpfung nach der
kleinsten Anstrengung wahr?
Wird sie mich vermissen – eines Tages?
Ich vermisse sie schon jetzt, wenn sie Kissen,
Zudecke und Tuch von der Fensterbank nimmt
und das Fenster schließt.
>Die Dame mit dem roten Haar<
Doris Lauck
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