So wie damals
Meinen wohl letzten Umzug habe ich heil überstanden und danke
dem lieben Gott, dass er mich gnädig geführt.
Danke, dass meine grauen Zellen noch nicht alle gekappt sind.
Danke, dass meine Knochen und auch das andere Klimbim noch
passabel sind.
Trotz allem sitze ich von nun an in einem Luxuszimmer mit Nasszelle, ohne Kochnische, jedoch mit Wohnraumkühlschrank geräuschlos laufend. Einen kleinen Balkon darf ich mein Eigen nennen. Eine Kochplatte und ein Kochtopf
mit ein bisschen Küchenkram würde ich mir gewünscht haben.
Von nun an ist mein Tagesablauf geordnet. Alles ist akribisch festgeschrieben,
und heute ist mein Frisörtermin.
Also mache ich mich auf dem Weg.
„Guten Morgen meine Liebe, was machen wir heute?“ Vorsichtig taxiert mich die Frisöse, lächelt mir zu und schiebt mir den Stuhl zurecht.
Ich schaue in den Spiegel und sehe mich …, sehe mich als sei es gestern gewesen.
… sehe mich im Frisörsalon, die gleichen Worte: „Was machen wir heute?“ Wir besprechen die Farbe. Es sollte ein dezentes Rot werden. Die Farbe
ist angerührt, ich lege die Zeitschrift zur Seite, und die Prozedur beginnt. Ich schaue mich im Spiegel an. „Für ein Fotoshooting ziemlich ungeeignet“ denke ich so bei mir, und in meinem Spiegel spiegelt sich ein anderer Spiegel und aus diesem gespiegelten Spiegel schauen mich zwei lachende Augen an. Diese blauen Augen, dieser verträumte Mund katapultieren meinen Blutdruck in die Höhe.
„Lieber Gott, halte die Zeit an“, fleht mein Herz. Seit sechzehn Jahren haben wir uns nicht mehr gesehen. Unsere Wege waren nicht die gleichen, und doch pochen unsere Herzen so wie damals. …
Und so wie damals schaue ich in den Spiegel und sage:
„Ich möchte ein dezentes Rot.“
Doris Lauck
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