Der tote Soldat.
1. Auf ferner, fremder Aue,
da liegt ein toter Soldat,
ein Ungezählter, Vergeßner,
wie brav er gekämpft auch hat.
2. Es reiten viel Generale
mit Kreuzen an ihm vorbei,
denkt keiner, daß, der da lieget,
auch wert eines Kreuzleins sei.
3. Es ist um manchen Gefallnen
viel Frag und Jammer dort;
doch für den armen Soldaten
gibt`s weder Träne noch Wort.
4. Doch ferne, wo er zu Hause,
da sitzt beim Abendbrot
ein Vater voll banger Ahnung
und sagt: „Gewiß er ist tot!“
5. Da sitzt eine weinende Mutter
und schluchzet laut: „Gott helf!
Es hat sich angemeldet,
die Uhr blieb stehn um elf!“
6. Da starrt ein blasses Mädchen
hinaus ins Dämmerlicht:
„Und ist er dahin und gestorben,
meinem Herzen stirbt er nicht!“
7. Drei Augenpaare schicken,
so heiß es ein Herz nur kann,
für den armen toten Soldaten
ihre Tränen zum Himmel hinan.
8. Und der Himmel nimmt die Tränen
in einem Wölkchen auf
und trägt es zur fernen Aue
hinüber in raschem Lauf
9. und gießt aus den Wolken die Tränen
auf`s Haupt des Toten als Tau,
daß er unbeweint nicht liege
auf ferner, fremder Au.
Johann Gabriel Seidl 1804 – 1875
Quelle Deutsches Lesebuch Ausgabe B
Zweiter Teil
Dichtungen Oldenburg und Leipzig, 5. Auflage S. 77
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